ODER: WIE DAS PFERD IN UNSER LANDESWAPPEN KAM…
Zuerst sind sie richtig sauer gewesen… Auf Geheiß der preußischen Regierung hatte der Graf von Spee 1.200 Mülheimer und 700 Duisburger zwangsverpflichtet, die Treiber bei der letzten großen Wildpferdejagd in Westfalen zu stellen. Schließlich ließen sie sich dann aber überzeugen, denn die freilaufenden Pferde verursachten enorme Schäden auf den Feldern und Äckern. Und so zogen insgesamt 2.600 Mann bewaffnet mit Trommeln, Hörnern und Rasseln an einem kalten Dezembermorgen 1814 aus in den Duisburger Wald und fingen die verbleibenden 256 Wildpferde ein. Es war vollbracht, der Mensch hatte den kompletten Lebensraum des Wildpferdes für sich erobert! Den kompletten Lebensraum? Nein! Eine unbeugsame Herde hörte nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten (oder wurde sie schlichtweg vergessen?):
Die letzte Wildpferdebahn Europas
Einst lebten überall in den Wäldern Westfalens Wildpferde, robust, widerstandsfähig, angepasst an die natürlichen Gegebenheiten. Doch auch den Dülmener Pferden, die schon 1316 urkundlich erwähnt wurden, wäre es vermutlich nicht anders ergangen als dem „Davertnickel“ oder den „Emscherbrücher Dickköpfen“, wenn nicht Alfred Herzog von Croy 1847 die letzten zwanzig Exemplare einfangen lassen und ihnen ein sicheres Zuhause geschenkt hätte: den Merfelder Bruch.
Die Landschaft, bestehend aus Moor, Heideflächen, Nadelwäldern und Eichenbeständen eignete sich perfekt als Gelände für eine Wildpferdebahn, also ein umfriedetes Gelände, in dem die Pferde frei leben können. Hier finden sie genau den abwechslungsreichen Lebensraum, den sie brauchen, um ohne menschliche Hilfe auszukommen.
Knapp 350 Hektar waren dann aber doch etwas groß für die zwanzig Dülmener, und die wiederum waren zu wenig, um für den stabilen Fortbestand der Rasse zu sorgen. Also nahm Alfred Herzog von Croy auch noch die 200 verbleibenden „Emscherbrücher“ aus der dort aufgelösten Bahn auf. So legte er den Grundstein für die heute in Europa einzig verbleibende Wildpferdebahn, die jetzt von seinem Urururenkel Rudolph Herzog von Croy unterhalten wird und uns einzigartige Einblicke in das Leben und Verhalten des ursprünglichen Pferdes gibt. Eins kann ich schonmal verraten: Mit dem steigenden Ross auf unserem Landeswappen hat der gemächliche Dülmener nicht ganz so viel gemein…
Zu Besuch bei den Pferden
Bei „Pferdebesuch“ denkst du wahrscheinlich auch zuerst an einen Reiterhof, von denen es im Münsterland ja viele gibt, aber ein Ausflug zur Dülmener Wildpferdebahn ist etwas ganz anderes und vielleicht am ehesten mit einer Safari zu vergleichen.
Die Försterin Friederike Rövekamp erwartete uns am Gatter, das als Eingang zur Wildpferdebahn dient. Die Gatter und Zäune sind übrigens nicht sehr hoch, denn die Pferde würden gar nicht auf die Idee kommen, darüber zu springen; kostet zu viel Energie und haben sie ja auch gar keinen Grund zu…
Zuerst fuhren wir mit dem Auto weiter, denn die Försterin wusste, dass die Pferde sich auf einer entfernt gelegenen Wiese befanden. Nach knapp 10 Minuten Fahrt über den Wirtschaftsweg kamen wir schließlich in der Nähe der Pferde an und mussten noch ein kleines Stück zu Fuß weitergehen.
Schon von weitem ist es ein beeindruckendes, majestätisches Bild, dass du am besten selbst gesehen haben solltest, um zu verstehen, was mich so fasziniert hat! In kleinen Etappen näherten wir uns den Pferden an.
Dies gab Frau Rövekamp Zeit, um uns mit weiteren Informationen zu versorgen, und den Pferden Zeit, sich an unsere Annäherung zu gewöhnen. So erfuhr ich, dass die etwa 400 Pferde sich in kleinere Unterherden von etwa 20 Pferden aufteilen, die alle von einer Leitstute geführt werden.
Diese Leitstuten wiederum folgen alle einer „Oberleitstute“, die damit indirekt die ganze Herde führt. Das wiederum gibt Frau Rövekamp die Möglichkeit, mit wenigen Helfern eine Herde von 400 Tieren zu steuern; sie muss nur wissen, welches die entsprechenden Stuten sind.
Nachdem wir uns ein weiteres Stückchen angepirscht hatten (Entschuldigung für den Jagdausdruck, es waren zum Glück keine Gewehre vor Ort!), erfuhren wir z. B. auch mehr über die „Weiberwirtschaft“, die hier herrscht.
Denn wie dir vielleicht schon aufgefallen ist, habe ich nur von Leitstuten gesprochen. Um Inzucht zu vermeiden, werden nur ausgewählte Deckhengste kurzzeitig auf das Gelände gelassen, ansonsten sind die im benachbarten Merfeld untergebracht. Einmal im Jahr werden die einjährigen, geschlechtsreifen Hengste von Hand gefangen und auf einer Auktion versteigert; ein weit über die Dülmener Grenzen bekanntes Spektakel mit Tradition seit 1907, bei dem die ca. 15.000 Eintrittskarten dieses Mal innerhalb von fünf Minuten ausverkauft waren. Vielleicht hast du ja beim nächsten Mal eine Chance!?
Forstoberinspektorin Friederike Rövekamp kümmert sich gemeinsam mit ihrem Mann um das gesamte, etwa 350 Hektar große Gelände und hat dabei die Aufgabe, das Naturschutzgebiet, das den Lebensraum der Pferde bildet, intakt zu halten. Dazu gehört vorausschauendes Weidemanagement (gerade in trockenen Sommern), ein gutes Auge für die Pferde und vor allem ein kenntnisreicher Überblick über das gesamte Ökosystem. Ein Tierarzt ist daher komplett unnötig und eine Zufütterung gibt es nur in extrem kalten Wintern. Die Försterin managt ihr Revier eben so, dass hier alles Natur ist…
In der Herde
Jetzt waren es nur noch wenige Schritte und plötzlich befanden wir uns mitten in der Herde. Ich glaube kaum, dass meine Fotos dir den Eindruck vermitteln können, sich inmitten dieser anmutigen Tiere zu befinden und ihnen beim Grasen zuzuhören.
Hier erlebt man ein Gefühl, wie es mir nur Tiere geben können: Keine Hektik, keinen Stress, einfach in Ruhe und Gelassenheit sein…
Berühren kann und soll man die Pferde zwar nicht, aber ich finde es auch gar nicht nötig. Schon durch das einfache Stehen mitten unter ihnen bekommt man soviel zurück, was man im aufgeregten Alltag leider viel zu selten erfährt.
Wildpferde sind eben doch nicht so, wie der Name es vermuten lässt. Ich (und vielleicht auch du) dachte da eher an so etwas wie unser westfälisches Wappentier oder das springende Ferraripferd. Aber weit gefehlt! Die Tiere mögen es ruhig und gemütlich.
Im Winter halten sie sich im geschützten Wald auf und fressen die jungen Sträucher ab, im Sommer zieht es sie auf die Weide, wo sie dichtgedrängt mit 400 Schweifen die Insekten vertreiben. Um unnötigen Energieaufwand zu vermeiden, laufen die Wildpferde eben nur, wenn es nötig ist. Meist stehen sie einfach in aller Ruhe und Gelassenheit da, oder legen sich auch schon mal auf die Seite, wie dieses kleine Fohlen.
Ich wiederhole mich, wenn ich dir schon wieder sage, dass sich das auch für eine Bloggerin nur schwer in Worte fassen lässt: Für mich ist das Gefühl in der Natur bei Tieren zu sein, einfach etwas Besonderes, dass mir auch viel gibt für die Zeit danach!
Wenn du weißt, was ich meine, dann ist dein Ausflug bestimmt schon gebucht. Wenn du nicht weißt, was ich meine, dann wird es dringend Zeit, dass auch du dieses Gefühl mal kennenlernst!
Werktags können Gruppen ab 10 Personen nach vorheriger Anmeldung von Frau Rövekamp direkt zu den Wildpferden geführt werden und dabei allerhand Wissenswertes erfahren; am Wochenende kannst du allein durch den Merfelder Bruch spazieren und dabei sogar deinen angeleinten Hund mitbringen, die Pferde sind dann allerdings hinter einem Zaun auf einer Wiese.
Da ich etwas Problem mit der Zufahrt hatte, hier die Adresse für´s Navi, die dich hoffentlich ans richtige Gatter bringt:
Naturschutzgebiet Merfelder Bruch, Zur Wildpferdebahn 1, 48249 Dülmen
