ODER: WARUM DRECHSELN SÜCHTIG MACHT…
Als Lehrer überlegst du dir jeden Tag aufs Neue, wie du Inhalte so aufbereiten kannst, dass sie auch wirklich beim Schüler ankommen… Doch wenn es mal über die Interpretation eines Gedichtes oder die Berechnung komplizierter Strahlensätze (ja, auch die kann man wirklich gebrauchen, wie du später noch sehen wirst!) hinaus an die wirklich elementaren Themen des Lebens geht, wird die Zielgruppe größer und die Präsentation anspruchsvoller! Besonders dringlich scheint derzeit, sich mit dem Zustand der Umwelt zu beschäftigen: Laut Waldzustandsbericht vom vergangenen Montag sind nur noch neunzehn Prozent der Bäume in NRW richtig gesund. Es muss was passieren, doch was der Mensch nicht kennt, schützt er nicht… Wie also kann es gelingen, dass die Bäume und Wälder mehr in unser Interesse gerückt werden? Der Biologie- und Physiklehrer Mathias Kirchhoff aus Münster hat da seine ganz eigene Idee – mal schauen, ob die Rechnung aufgeht:
Faktor 1: Material Holz
Bestimmt hast du auch schon mal gestaunt, als du die Jahresringe eines alten Baumes gezählt hast, und dich gefragt, was der alles zu erzählen hätte, wenn er nur reden könnte!? So ging es auch Mathias Kirchhoff, als er kürzlich ein Stück einer zweihundert Jahre alten Eiche aus Hiltrup angeboten bekam. Nicht immer hat er solches Glück, doch fast immer stammt sein Holz aus dem Münsterland, und immer hat er es selbst ausgesucht. Denn als Bio-Lehrer weiß er nicht nur über die Bedeutung von Nachhaltigkeit und funktionierenden Ökosystemen bestens Bescheid; er kennt auch die verschiedenen Holzarten und deren Eigenschaften.
Wusstest du, dass es violettes Holz gibt, oder dass das pechschwarze Holz einer Mooreiche bestens zu verarbeiten, wenn auch sehr selten, ist? Dass jede Holzart ihre eigene Maserung hat, und eben auch die Jahresringe bei weitem nicht immer gleich aussehen? Absolut faszinierend, aber das bekommst du nur mit, wenn du ganz genau hinschaust!
Um dir das zu erleichtern, hat sich Mathias an ein ganz besonderes Projekt gewagt: Im „Mischwald“ kannst du achtzehn verschiedene Holzarten entdecken, die ausnahmsweise mal nicht aus dem Münsterland stammen. Um die ganze „Faszination Vielfalt“ zu zeigen, hat Mathias dieses Mal nämlich auch exotische Hölzer verwendet, die aber zertifiziert aus nachhaltigem Anbau stammen.
Tatsächlich war auch eine Menge höherer Mathematik nötig, um die siebzig bis achtzig Kegelstumpfen zusammenzufügen, ohne dass Lücken entstehen – die Strahlensätze hatte ich ja eingangs erwähnt… Einen Tag lang hat Mathias gerechnet, dann mussten nur noch siebzig bis achtzig Kegel und eine Außen- und Innenschale gedrechselt werden, in der die Kegel mit einem speziellen Harz zu einer Schale verklebt wurden, und dann war der Mischwald nach knapp siebzig Arbeitsstunden fast fertig… Fast? Ja, wenn das Holz zum Schluss noch fünf Mal geölt wird, bekommt es seine feurige Farbe, und seine Struktur kommt so richtig zum Vorschein.
So einen Aufwand betreibt nur, wer dieses Material wirklich wertschätzt. Vielleicht gibt es ja auch ein Stück Holz oder einen Baum, der eine ganz besondere Bedeutung für dich hat!? Sollte er aus irgendeinem Grund einmal gefällt werden, wäre es sicherlich eine schöne Idee, wenn er in einem von Mathias Werken weiterleben würde, oder?
Faktor 2: Ein uraltes Handwerk
Franz von Assisi sagte einmal, dass der Arbeiter mit den Händen arbeitet, der Handwerker mit dem Kopf und den Händen und der Künstler mit dem Herzen, dem Kopf und den Händen. So verstanden ist der „Mischwald“ sicherlich Kunst, da hat mir sogar Mathias Recht gegeben, ansonsten versteht er das Drechseln eher als Kunsthandwerk.
Kaum zu glauben, dass er sich das alles autodidaktisch beigebracht hat, oder? Vor acht Jahren entdeckte er eine Drechselbank in einem Youtube-Video, seitdem hat ihn das Drechsel-Fieber nicht mehr losgelassen. Manchmal steht er acht Stunden in seiner Werkstatt. Das würde keiner freiwillig mit einer Kettensäge tun. Aber der direkte Umgang mit dem Holz, das Schleifen mit der Hand, der Spleen für perfekte Oberflächen – das alles hat dazu geführt, dass Mathias das Drechseln heute als seine Sucht bezeichnet.
Langholzarbeiten, Querholzarbeiten – Mathias kann alles herstellen, was drehsymmetrisch ist. Am liebsten macht er aber Grünholzarbeiten: Bei der Verarbeitung von frischem Holz kann der Drechsler die Form zwar grob vorgeben, die Natur erledigt aber beim Trocknen den Rest. So entstehen ganz spannende Formen, die auch für Mathias immer wieder eine Überraschung sind. Schließlich geht´s ihm ja darum, die Schönheit der Natur zum Vorschein zu bringen!
Faktor 3: Scharfe Kontraste
So unterschiedlich die Kunstwerke (darauf hatten wir uns ja geeinigt!?) auch sind, eins haben sie alle gemeinsam: Einen scharfen Kontrast.
Mal ist es die Spannung zwischen gebrannter und geschliffener, verwitterter und geschmirgelter Oberfläche, mal die Verwendung unterschiedlicher Holzarten oder gar Materialien.
Mathias´ Holzdrucke zeigen die Gegensätze nicht nur in den Farben, sondern auch in den Formen: Der gedrechselte Kreis als Kontrast zu Jahresringen, die Geometrie als Kontrast zur Natur…
Produkt: Nützliche Unikate
Am Ende ist mir dann doch der Unterschied zwischen Kunst und Kunsthandwerk noch klar geworden: Bei mir wäre die Schale dekorativ aufgestellt worden; Mathias isst Salat daraus und seine Kinder benutzen die Salz- und Pfefferstreuer mit Tomatensaucen-Fingern. Erstaunlicherweise tut das dem Holz keinen Abbruch.
Alle Schalen, Gewürzmühlen, Schmuckdosen, Vasen, Kreisel und Bilder, die Mathias´ Werkstatt verlassen, sind Unikate mit ihren ganz eigenen Besonderheiten. Und an eben diesen Besonderheiten ist die Schönheit, der Charakters des Baumes zu erkennen. Wer diese kleinen Details wertschätzt, wird hoffentlich auch dafür sorgen, dass die Drechsler in zweihundert Jahren sich über entsprechend alte Bäume freuen dürfen… Diese Rechnung ist wohl wirklich aufgegangen!
Da du die Feinheiten aus nächster Näher viel besser erkennen kannst und die Oberflächen einfach gefühlt haben musst, um zu wissen, wovon ich spreche: Mathias ist regelmäßig auf Ausstellungen und Märkten in der Region unterwegs oder zeigt dir bei Interesse auch seine Werkstatt.
Die meisten Fotos wurden mit freundlicher Unterstützung zur Verfügung gestellt von:
Mathias Kirchhoff Holzdesign, Zum Hiltruper See 24, 48165 Münster
